Schauspielerin Jutta Speidel im Gespräch mit Karin Werner, Chefredakteurin CAMPINGWIRTSCHAFT HEUTE
Foto: Dirk Schiff
Sie steht vor der Kamera und auf der Bühne, sie ist Synchron-Hörbuch- und Hörspielsprecherin und ganz nebenbei auch noch Autorin. 1997 hat sie zusammen mit ein paar Freundinnen die Initiative HORIZONT e. V. gegründet. Der Verein, inzwischen ein mittelständisches Unternehmen mit Sitz in München, kümmert sich um obdachlose Kinder und deren Mütter. Mit dieser tollen und sympathischen Frau wollten wir natürlich unbedingt sprechen.
CWH: Liebe Jutta Speidel, wir freuen uns riesig, dass wir ein wenig mit Ihnen plaudern dürfen. Fangen wir doch gleich mal mit dem Campen an. Da konnten Sie ja auch schon Erfahrungen sammeln, haben darüber sogar ein Buch geschrieben. Das war eines von vier Büchern, die von Ihnen erschienen sind. Wie kam es denn überhaupt zu der Idee mit dem Schreiben?
JS: Begonnen hat alles mit einem Geburtstagsgeschenk. Für meinen damaligen Lebensgefährten Bruno Maccallini
war Fahrradfahren mit Sehnsucht verbunden. Als Römer besaß er zwar als Kind einen Drahtesel, als Erwachsener aber nicht mehr, denn über das Kopfsteinpflaster in Rom fährt es sich nicht besonders gut. Ich habe ihm dann eines geschenkt und dazu gesagt: „Du lernst jetzt speedy das Fahrradfahren und dann geht’s über die Alpen Richtung Italien. Gesagt – getan. Ein gemeinsamer Freund von uns, der bei BMC gearbeitet hat, gab uns damals den Tipp, ein Tagebuch zu führen und daraus vielleicht später ein Buch zu machen. Die Reise war dann derart abenteuerlich, vor allem, weil Bruno ja auch sehr speziell ist (lacht) und so schrieben wir tatsächlich dieses Buch. Es wurde zum Bestseller und hat sich über 100.000 Mal verkauft. Wir gaben ihm den Titel „Wir haben gar kein Auto“. Das war in Anlehnung an Brunos Cappuccino-Werbung und seinem unvergessenen Satz „Isch ‘abe gar kein Auto“. Es folgten dann noch drei weitere Bücher. Das letzte hieß „Wir haben doch ein Auto“. Das war ein Campingmobil, mit dem wir den Stiefel von Italien bereist haben.
CWH: Wie groß war der Camper?
JS: Nicht so riesengroß, wir wollten ja in kleine Dörfer und Städte fahren, wollten beweglich sein.
CWH: Habt ihr dort auf Campingplätzen übernachtet?
JS: Ja, das ging gar nicht anders, wir hätten ja sonst nie übernachten können. Dort muss man auf Campingplätze gehen, wild campen kam nicht infrage.
CWH: Wäre das auch privat eine Urlaubsform für Sie?
JS: Ein klares „nein“ mit einer einfachen Erklärung. Ich bin dort ein bunter Hund. Wenn ich auf‘s Klo gehe, redet jeder auf dem Platz davon, was ich gerade tue. Ich will auch nicht hören, was der Nachbar gerade vor seinem Wohnwagen zu erzählen hat. Das ist nicht meine Welt, nicht meine Form des Reisens, dazu bin ich ein zu großer Individualist. Ich war aber schon erstaunt über die Großzügigkeit der Plätze, zum Beispiel in Kalabrien. Sie waren gar nicht popelig und klein, richtig schön.
CWH: Sie waren seit damals also nie wieder in einem Camper unterwegs?
JS: Nein. Ich war aber unlängst alleine in Neuseeland unterwegs. Da habe ich mich im Nachhinein schon etwas geärgert, dass ich mir keinen gemietet habe. In diesem Land kann man gut alleine und individuell reisen, überall stehen bleiben, wo man will – da braucht man nicht unbedingt auf einen Campingplatz. Das wäre dort die ideale Reiseform für mich gewesen, alles easy going. Dennoch war es meine absolute Traumreise.
CWH: Sie waren ganz alleine unterwegs, wie lange und wann?
JS: Ich war drei Monate unterwegs. Natürlich hatte ich schon ein paar Anlaufstellen, Uraltfreunde, die ich besucht habe. Ansonsten bin ich aber alleine durchs Land gezogen und habe meine Freiheit genossen. Das ist noch gar nicht lange her. Kurz vor dem ersten Lockdown bin ich zurückgekommen. Ich liebe meine Unabhängigkeit beim Reisen, bin schon als junge Frau mit meinem Karmann Ghia Cabriolet durch Italien gefahren und habe es genossen, dass die Männer hinter mir hergeguckt haben (lacht).
CWH: Ist Italien nach wie vor Traum- und Sehnsuchtsland?
JS: In den elf Jahren mit einem Italiener an meiner Seite habe ich das Land anders kennengelernt. Ich habe große Probleme mit der Misswirtschaft dort. Die Kultur geht den Bach runter, es geht nur noch um Macht und Geld. Da herrscht große Frustration im Land und macht es kaputt. Das sieht man ja gerade aktuell wieder bei den vielen Bränden. Die meisten davon sind Brandstiftung mit politischem Hintergrund.
CWH: Kurzer Schwenk zu Ihrer Karriere. Sie haben bereits als ganz junges Mädchen erste Erfahrungen in der Branche sammeln dürfen. Welche Stationen waren besonders wichtig für Sie?
JS: Ich habe mit mehreren Generationen arbeiten dürfen. Zuerst mit Regisseuren und Schauspielern, die noch Nachkriegsfilme gemacht hatten, wie zum Beispiel Theo Lingen oder Lilo Pulver, die Liste ist lang. Das war für mich ein wichtiger Punkt, ich durfte viel von ihnen lernen. Später bekam ich die Chance, mit Rudolf Noelte, einem der damals größten Theaterregisseure in Deutschland, zu arbeiten und habe die Größe des Theaters kennengelernt. Dann kam ich sehr schnell mit dem Fernsehen in Berührung und drehte mit Anfang 20 meinen ersten Fernsehfilm. Er hieß „Verurteilt“ und heimste sogar Preise ein. So bin ich damals also dreigleisig gefahren, bis das Kino gar nicht mehr kam. Die altgedienten Regisseure, mit denen ich gedreht hatte, gab es nicht mehr und die neuen haben mich nicht angefragt. Für Fassbinder, Wenders und Co. hatte ich vielleicht als junges Mädchen zu sehr die leichte Muse bedient oder ich war ihnen einfach zu fröhlich und zu sommersprossig (lacht). Ich hätte mich aber während meiner ganzen Laufbahn wahnsinnig gefreut, beim Kino Fuß zu fassen. Die Leinwand ist eben doch etwas anderes als ein Fernseher. Auch steckt da viel mehr Sorgfalt und Geld drin.
CWH: Sie waren ja eine der Ersten, die sehr erfolgreiche Fernsehserien in Deutschland gedreht haben.
JS: Ja, das stimmt. „Drei sind einer zu viel“, „Rivalen der Rennbahn“ oder „Forsthaus Falkenau“. Später kam dann „Um Himmels willen“ dazu, wo ich bei ca. 60 Folgen die Nonne Lotte gespielt habe.
CWH: Jede Menge Fernsehfilme gehören ja auch zu Ihrem Repertoire. Wissen Sie, wie viele es waren?
JS: Es waren unglaublich viele, ich kann sie gar nicht mehr alle zählen.
CWH: Sie gehören zu den beliebtesten Schauspielerinnen in Deutschland. Ist Ihr außergewöhnlicher Erfolg beim Publikum auch darin begründet, dass Sie so natürlich und bodenständig geblieben sind, dabei zu Ihrem Alter stehen und nicht der ewigen äußerlichen Jugend hinterherjagen?
JS: Das weiß ich nicht, ich denke aber, dass es auch sehr an meiner Authentizität liegt. Ich kann mich in meine Rollen sehr gut hineinversetzen, spiele dem Publikum nichts vor, sondern bin die Figur – natürlich aus meiner eigenen Begabung heraus. Sicher, mein Aussehen und meine Ausstrahlung gehören bestimmt auch dazu. Auch mein Engagement bei dem Projekt „HORIZONT“ trägt bestimmt dazu bei. Die Menschen wissen, dass sie mir absolut vertrauen dürfen.
CWH: Zu Ihrem großartigen Verein HORIZONT komme ich später noch ausführlicher. Mich würde aber noch kurz interessieren, welche Beziehung Sie zu Ihrem Alter haben?
JS: Ach, ich habe es nicht so mit Zahlen, weiß manchmal ehrlich gesagt gar nicht ganz genau, wie alt ich gerade bin. Da mache ich mir auch keine Gedanken. Wichtig ist für mich, dass ich gesund bin und eine ebensolche Lebenseinstellung habe. Ich bin gut zu mir, tue etwas für mich, aber sicher nicht gegen mein Alter. Wo soll man da auch anfangen oder aufhören? In diese Falle tappen ja leider viele und enden dann bei OPs, um die Falten der Kniescheiben zu glätten, das ist doch pervers. Schrecklich ist auch das Spritzen von Nervengift in die Muskulatur, um sie zu lähmen. Ja geht’s noch? Es weiß doch auch niemand, wo sich dieses Gift im Körper überall absetzt, wirklich gruselig.
CWH: Ich wechsel hier noch mal das Thema und komme vom Alter zum Klimawandel und im Speziellen zur E-Mobilität. Wie stehen Sie dazu?
JS: Ich bin, wie auch meine Töchter, sehr bewusst, was den Klimawandel angeht. Was mich aber zornig macht, ist diese verlogene Gesellschaft und unsere Wirtschaft, die uns ganz gezielt Dinge ins Leben drückt. So wie das E-Auto, das uns als Zukunftsmodell schlechthin vermittelt wird. Als ob das für unsere Zukunft die Lösung ist, mobil zu bleiben. Wenn ich alleine an den Lithiumabbau denke – wer da schon wieder alles involviert ist und sein Geld damit verdient … Von der Kinderarbeit mal ganz zu schweigen. Ich frage mich auch, wo wir dafür den ganzen vernünftigen Strom hernehmen sollen und wann die Infrastruktur für ein solches Vorhaben überhaupt vorhanden ist. Soll ich mich, wenn ich nach Berlin fahre, vorher anmelden, um zu tanken? Da bin ich ja zu Fuß schneller. Ich finde, man sollte lieber diese völlig überflüssigen SUVs abschaffen, wo klassisch nur eine Person drinsitzt und oft nicht mal übers Lenkrad schauen kann.
CWH: Nun aber zu Ihrem wunderbaren Projekt HORIZONT E. V., das es nun bereits seit 25 Jahren gibt. Wie finanzieren Sie sich?
JS: Wir leben nicht von den Fördermitgliedern, sondern von Einzelspenden der Bürger und von mittelständischen Unternehmen. Wir haben auch eine Stiftung, in die Erbe einfließt. Viele Menschen stellen uns in Aussicht, dass wir einmal von ihnen erben werden. Das ist ganz wunderbar!
CWH: Ihr Verein kümmert sich um obdachlose Kinder und ihre Mütter, die fast immer auch Gewalt erfahren haben und traumatisiert sind. Wie war die Situation in Ihren Häusern während Corona und dem Lockdown?
JS: Das war für die Frauen und Kinder ganz schrecklich. Sie fühlten sich weggesperrt und konnten sich folglich auch nicht integrieren, um neue Perspektiven zu erfahren. Das war für viele eine ganz schlimme Zeit. Inzwischen läuft es aber wieder relativ entspannt.
CWH: Es ist schon Wahnsinn, wie viele Frauen in eine solche Situation kommen und auch häusliche Gewalt erfahren.
JS: Ja, das ist ein sehr schwieriges Thema hier in Deutschland. Die Politik interessiert sich nicht dafür, es wird noch immer als gesellschaftspolitisches Thema behandelt. Da frage ich mich schon, wo wir eigentlich leben. In Frankreich läuft das zum Beispiel viel besser. Brigitte Macron hat für dieses Problem sogar eine große Kampagne gestartet. In Deutschland ist es viel schwieriger, so etwas in die Politik zu tragen. Ich wünsche mir da viel mehr Aufklärung – das Thema zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten.
CWH: In München gibt es bereits zwei Häuser von HORIZONT, ein drittes ist in Planung. Welche Projekte finden in den Häusern statt?
JS: Wir haben jede Menge Projekte. Wir haben Bildungsangebote, bieten Workshops an. Wir haben Bienen, schleudern Honig und die Kinder bauen jetzt gerade in den Ferien Baumhäuser. Aktuell freuen wir uns auch wieder auf unsere Kulturbühne mit Theateraufführungen ab September. Unser zweites Haus ist öffentlich, da kann jeder vorbeischauen, kommen Sie doch auch mal vorbei. Alle, die es bereits getan haben, waren begeistert. Jetzt warte ich sehnlichst darauf, dass für unser drittes Haus endlich der erste Spatenstich erfolgen kann.
CWH: Nochmals zurück zur Kamera: Was tut sich aktuell in der Schauspielerei, gibt es da Neues?
JS: Ich warte, dass der Fernsehfilm, den wir letzten Sommer gedreht haben, endlich ausgestrahlt wird und nicht immer nur Wiederholungen im Fernsehen laufen. Er heißt „Karla, Rosalie und das Loch in der Wand“ – vielleicht wird der Titel aber auch noch einmal geändert. Gerade drehe ich mit vielen tollen Kolleginnen und Kollegen eine Serie in Wien, in der ich mal die Böse spielen darf und dann wird es auch noch einen Weihnachtsfilm mit mir geben.
CWH: Liebe Frau Speidel, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihr großartiges Engagement. Wir freuen uns, bald Ihr offenes HORIZONT-Haus zu besuchen und natürlich auf viele weitere Filme mit Ihnen und wünschen Ihnen, dass vielleicht das Kino doch noch an Ihre Tür klopft. Es wäre dumm, es nicht zu tun – finden wir!
HORIZONT e. V.
Foto: Dirk Schiff
- HORIZONT e. V. bietet obdachlosen Kindern und ihren Müttern ein Zuhause und eine echte Perspektive.
- Mehr als 1.700 Kinder haben in München kein Zuhause.
- Betroffene sind fast immer durch Gewalterfahrungen traumatisiert.
- HORIZONT e. V. begleitet obdachlose Kinder und ihre Mütter auf ihrem Weg zu einem Neuanfang, fördert ein soziales Miteinander, hilft dabei, akute Krisen zu bewältigen und langfristig die gesamte Lebenssituation der Familien zu verbessern.
- Im HORIZONT-Schutzhaus erhalten Familien Wohnraum auf Zeit und ganzheitliche pädagogische Betreuung.
- Ein zweites und offen konzipiertes Haus mit verschiedenen Angeboten (Bildung, Kultur etc.) ist das dauerhafte Zuhause für 48 sozial benachteiligte Familien.
- Ein drittes Haus ist in Kürze geplant.
Spenden und Fördergelder machen dieses intensive Engagement erst möglich:
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