Der Camptalk mit Uli Hoeneß

Chefredakteurin Karin Werner im Gespräch mit Uli Hoeneß

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Er war gefeierter Fußballspieler, Europa- und Weltmeister, später dann das Gesicht des FC Bayern München, zuerst als Manager, dann als Präsident. Ein Mann, der viel erreicht hat und den Fußball eine große Ecke mit geprägt hat. Ein Bauchmensch mit Emotion und Leidenschaft, auch mal kantig und unbequem, eben einer, der sagt, was er denkt. Ziemlich genau zwei Jahre ist es nun her, dass Uli Hoeneß den FC Bayern München in andere Hände übergeben hat. Wie geht es ihm heute? Und wie ist der Mensch Uli Hoeneß eigentlich so? Das wollten wir unbedingt wissen und wir freuen uns riesig, dass es geklappt hat und ich ein bisschen mit ihm plaudern durfte.

CWH: Lieber Uli Hoeneß, ich habe mich unglaublich gefreut, aber ehrlich gesagt, auch etwas gewundert, dass Sie sich die Zeit nehmen und mir ein Interview geben, vielen Dank. Liegt das vielleicht daran, dass ich mich in meiner Anfrage bei Ihrer Sekretärin geoutet und erzählt habe, dass ich 1974 unsterblich in Sie verliebt war und unzählige Bilder von Ihnen in Alben geklebt habe?
UH: Ja, genau das war der Grund (lacht).

CWH: Jetzt würde ich natürlich schon gerne wissen, wie viele Liebesbriefe Sie damals so bekommen haben?
UH: Das ist natürlich nicht mit heute vergleichbar, wo alles im Internet abläuft. Damals mussten die Briefe ja noch mit der Hand geschrieben werden, was viel aufwändiger war. Aber ja, ich habe schon Briefe bekommen, damals habe ich ja noch ganz gut ausgeschaut, wie ein Jung-Siegfried (lacht).

CWH: Ihr Vater war Metzgermeister und hat, wie man lesen kann, sieben Tage die Woche gearbeitet, da war Urlaub in Ihrer Kindheit wohl eher keine Option?
UH: Er hat sechs Tage die Woche gearbeitet, die Sonntage waren Ruhetage. Ich erinnere mich daran, dass wir einmal eine Woche nach Bibione gefahren sind, ich glaube, da waren wir sogar beim Zelten. Dann waren wir mal in der Nähe von Garmisch in einer kleinen Pension, aber länger als maximal zehn Tage waren da nicht drin. Als Metzgermeister waren zwei ganze Wochen nie eine Option.

CWH: Haben Sie dennoch als Jugendlicher Zelt- oder Campingerfahrung gesammelt? In einem Fußballtrainingslager vielleicht?
UH: Ich war als 12-Jähriger mit meiner Pfadfindergruppe im Allgäu beim Zelten, das war in der Gegend um Memmingen. Dort hatte ich eines meiner lustigsten Erlebnisse als Fußballspieler. Ich war damals beim VfB Ulm. Am letzten Samstag während des Zeltlagers hatten wir gegen den klaren Favoriten Ulm 46 ein Fußballspiel der D-Jugend. Ich wurde gefragt, ob ich am Vorabend vorausfahren möchte, das Spiel war circa 60 Kilometer entfernt. Ich habe aber gesagt: „Nein, wir fahren alle Samstagfrüh gemeinsam.“ Also fuhren wir am nächsten Tag mit dem Fahrrad los, wir sind gerast wie die Wahnsinnigen, ich war immer fünf Kilometer vor den anderen. Trotzdem kam ich erst in der Halbzeit auf dem Fußballplatz an. Zu diesem Zeitpunkt stand es 4:0 für unseren Gegner. Da ich keine eigenen Schuhe hatte, suchte ich jemanden, der mir seine leiht, bin auf den Platz und habe in 20 Minuten fünf Tore geschossen. Schlussendlich haben wir 7:6 gewonnen. Wenn man mich heute fragt, welches meine größte fußballerische Leistung war, dann sage ich immer: „Nein, es war nicht die WM, es war dieses Spiel.“
Anmerkung CWH: Und das sogar ohne eigene Schuhe!

CWH: Bleiben wir noch kurz beim Campen. Viele der Fans auf den Tribünen sind sicher auch Camper, die Branche boomt momentan. Können Sie mit dieser Urlaubsform überhaupt etwas anfangen?
UH: Ich kann sehr viel damit anfangen! Gerade für junge Leute ist das doch ein Traum. Draußen in der Natur, auf sich selber angewiesen, selbst kochen usw. Heutzutage kann ich mir das für mich allerdings nicht mehr vorstellen. Aber für junge Menschen: toll!

CWH: Ich habe mal gelesen, dass sie seit vielen Jahren immer in dasselbe Hotel an die Côte d’Azur fahren. Sind Sie ein Gewohnheitsmensch?
UH: Nein, das hat damit gar nichts zu tun. Unser Hotel ist das beste, das ich kenne. Tolle Zimmer, toller Strand, herrliches Meer, ich kann golfen, es gibt jede Menge Fitnessangebote und das Essen ist bestens. Warum sollte man nach etwas anderem suchen, wenn man das Perfekte bereits gefunden hat? Ich war auch Jahrzehnte beruflich in der Weltgeschichte unterwegs, da ist die Côte d’Azur nah. Ich genieße es, schnell am Ziel zu sein und keinen Jetlag zu haben. Wenn meine Frau und ich um elf Uhr vormittags Richtung Côte d’Azur starten, sitzen wir bereits um 15:30 Uhr auf der Hotelterrasse und haben Urlaub.

CWH: Ich mache jetzt einen Schlenker zum FC Bayern München. Das war 50 Jahre lang gefühlt Ihr Verein, der ohne Sie, das behaupte ich jetzt mal, sicher nicht da wäre, wo er heute steht.
UH: Das sollen lieber andere beurteilen und kommentieren.

CWH: Nun haben Sie sich 2019 nicht mehr zur Wahl des Präsidenten aufstellen lassen und damit quasi das eigene Kind in die Obhut anderer gegeben. Ist es Ihnen leichtgefallen loszulassen? In welcher Abnabelungsphase befinden Sie sich gerade?
UH: Ich habe damals die Entscheidung für mich so getroffen. Ich wollte auch nicht warten, bis man mich rauskickt und war bei der Auswahl der Nachfolger maßgeblich beteiligt. Wenn ich dann das Gefühl habe, dass die richtigen Leute, wie zum Beispiel Oliver Kahn und auch Herbert Hainer, das Geschäft erfolgreich fortführen, ist alles gut. Natürlich war es am Anfang schwer, aber jetzt, nach ziemlich genau zwei Jahren, bin ich ganz glücklich damit.

CWH: Die Arbeitswelt im Fußball ist ja auch eine andere geworden.
UH: Ja, das ist richtig. Meine große Stärke war es immer, mit beiden Beinen in der Welt zu stehen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, das persönliche Gespräch und das Miteinander zu suchen. Heute hat die Digitalisierung und die Technologisierung im Fußball Einzug gehalten – da ist der Mensch eben leider nicht mehr unbedingt das Wichtigste.

CWH: Ich habe einmal gelesen, dass man Sie sogar als „barock“ bezeichnet, wenn es um Internet und Computer geht.
UH: Ja, dazu sage ich dann: „Ihr seid halt die Digitalen, ich bin der Analoge.“ Ich muss ja keinen Computer bedienen können, um zu begreifen, dass er wichtig geworden ist und man ihn auch für sich arbeiten lassen kann.

CWH: Sie haben polarisiert wie kein anderer, Sie haben gepoltert, geschimpft, geweint. Kurzum, Sie haben jede Menge Emotionen bedient und gezeigt, was Sie für die Fans zu einem greifbaren Menschen gemacht hat. Solche Charaktere gibt es heute ja wirklich nur noch selten. Da wird etwas fehlen, oder?
UH: Heute macht sich keiner mehr gerne angreifbar. Das ist aber kein Phänomen des Fußballs, das ist eines unserer Gesellschaft. Ein gutes Beispiel dafür sind Talkshows. Warum bekomme ich wohl jede Woche eine Einladung zu einer Talkshow? Die Veranstalter und Moderatoren wissen, wenn der Hoeneß kommt, gibt es immer etwas zu diskutieren. Es ist nachhaltig, es bleibt was hängen – ob es den Leuten passt oder nicht. Wenn man heutzutage mit Abstand an Shows zurückdenkt und überlegt, was da eigentlich besprochen wurde, bleibt bei 98 Prozent nicht viel übrig. Keiner will sich mehr angreifbar machen, keiner will einen Shitstorm. Shitstorms lese ich gar nicht, weil ich gar kein Internet habe. Es gibt sicher 1.000 Geschichten über mich, die ich nie mitbekommen habe. Das ist auch gut so, viele hätten mich sicher sehr geärgert.

CWH: Haben Sie denn nie Angst gehabt, sich unbeliebt zu machen?
UH: Ich war mir immer im Klaren, dass ich mit meinen Äußerungen provoziert habe, da braucht man schon ein dickes Fell. Wenn man das nicht hat, darf man sich natürlich auch nicht in die Höhle der Löwen begeben.

CWH: Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich von Gott bevorzugt fühlen. Hat Ihr Flugzeugabsturz 1982 damit etwas zu tun?
UH: Ja, diese Aussage war damals natürlich sehr emotional getroffen. In dem Flugzeug saßen vier Menschen, drei sind gestorben, nur ich habe überlebt.

CWH: Haben Sie sich damals nach dem Absturz schuldig oder eher unsterblich gefühlt?
UH: Weder noch, obwohl damals auch ein sehr guter Freund ums Leben gekommen ist, den ich überredet hatte, mitzufliegen. Ich bin seither aber sehr viel dankbarer, demütiger und natürlich auch vorsichtiger geworden.

CWH: Haben Sie seitdem Flugangst?
UH: Nein, ich habe den Absturz ja gar nicht mitbekommen, ich habe geschlafen, bin erst am nächsten Tag im Krankenhaus wieder zu mir gekommen. Ich konnte mich an nichts erinnern, hatte einen totalen Filmriss. Obwohl ich das Flugzeug verlassen hatte, umhergeirrt bin, bis mich ein Jäger gefunden hat. Wenn ich den Absturz bewusst miterlebt hätte, wären Flugzeuge sicher tabu gewesen, dann allerdings auch mein Job, in dem Fliegen zum Alltag gehörte. Ich bin aber schon etwas ängstlicher geworden, besonders dann, wenn man zehn Minuten von starken Turbulenzen durchgeschüttelt wird oder heftiger Sturm eine Landung fast unmöglich macht. Auch würde ich definitiv mit bestimmten Airlines niemals fliegen.

CWH: Zum Abschluss würde ich gerne noch ein paar Kleinigkeiten abklopfen, darf ich, haben wir noch Zeit?
UH: Ja, gerne.

CWH: Was ist Ihre größte Stärke?
UH: Zuverlässigkeit.

CWH: Was ist Ihre größte Schwäche?
UH: Gutes Essen.

CWH: Für was würden Sie sich entscheiden? Bratwurst vor Weißwurst?
UH: Bratwurst natürlich.

CWH: Wie wichtig ist Ihnen Tierschutz?
UH: Natürlich bin ich dafür, das Tiere artgerecht gehalten werden und ein gutes Leben haben, besser, als dies manchmal leider der Fall ist. Solange wir aber Fleisch essen, werden wir nicht verhindern können, dass Tiere getötet werden müssen – auch Bioschweine.

CWH: Haben Sie ein Lieblingsessen?
UH: Zürcher Kalbsgeschnetzeltes mit Rösti.

CWH: Wie sah Ihr Schreibtisch beim FC Bayern München aus? Sortiert und ordentlich oder eher kreatives Chaos?
UH: Totales Chaos!
CWH: Das beruhigt mich.

CWH: Wie wäre es denn, Ihre Würste auf Campingplätzen zu vermarkten?
UH: Die gibt es bei Aldi. Ich denke, viele Camper kaufen dort ein, also sind unsere Würste sicher viel auf Campingplätzen unterwegs.

CWH: Lieber Herr Hoeneß, ich sage danke schön, es war mir eine Ehre, mit Ihnen zu sprechen. So ist ein Jugendtraum von mir Jahrzehnte später doch noch in Erfüllung gegangen. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie Gesundheit und alles erdenklich Gute!