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Eine besondere Urlaubsform soll nun auch in Deutschland heimisch werden: der Voluntourismus. Bedeutet? Der klassische Tourismus wird mit einem Freiwilligendienst gepaart. Übersetzt heißt das: arbeiten im Urlaub – für die Natur. Sind Erholungssuchende bereit, in ihrer freien Zeit auch mal für einen Tag oder ein paar Stunden die Ärmel hochzukrempeln?
Die Idee des Voluntourismus (setzt sich aus den Worten Volunteering/Freiwilligenarbeit und Tourismus zusammen) gibt es schon lange. Meist sind es junge Menschen, die diese Urlaubsform für ihre Auslandsreise nutzen und während ihres Aufenthalts nicht nur Land und Menschen kennenlernen, sondern sich auch sozial oder ökologisch engagieren, zum Beispiel im Naturschutz oder in der Entwicklungshilfe. Sinnvolle Arbeitseinsätze, die der Verbesserung von gesellschaftlichen und ökologischen Verhältnissen dienen. Was also international schon gängige Praxis ist, ist in Deutschland bisher weniger verbreitet. Das soll sich nun mit dem Projektvorhaben „Voluntourismus für die biologische Vielfalt“ in den nationalen Naturlandschaften ändern. Im Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“ macht sich der Verband Nationale Naturlandschaften e. V. gemeinsam mit dem Nationalparkamt Müritz, dem Förder- und Landschaftspflegeverein Biosphärenreservat Mittelelbe e. V., der Schutzstation Wattenmeer e. V., dem Naturpark Südschwarzwald e. V., der Ecocamping Service GmbH und BUND-Reisen für den Naturschutz in nationalen Naturlandschaften stark. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.
Gestartet im Frühjahr 2020, ist es seither in vier deutschen Schutzgebieten möglich, unter der Anleitung fachkundiger Rangerinnen und Ranger während des Urlaubs bei verschiedenen Naturschutzprojekten mitzuhelfen. Bereits im Herbst 2020 wurden zwei erste Voluntourismusreisen im Müritz-Nationalpark und im Biosphärenreservat Mittelelbe für die Saison 2021 konzipiert und im BUND-Reisen-Katalog aufgenommen. Beide Reisen konnten mit einer ausreichenden Teilnehmendenzahl erfolgreich durchgeführt werden. Zudem gelang es auch, erste Tageseinsätze in den Modellregionen durchzuführen. Seither konnten in Zusammenarbeit mit den Modellregionen eine Vielzahl von Tageseinsätzen und einige Pauschalreiseangebote umgesetzt werden. Auch für 2023 stehen bereits wieder Tageseinsätze sowie drei Reiseangebote auf dem Plan. Ziel des Gesamtprojektes ist es, den Urlauberinnen und Urlaubern Möglichkeiten für ein Engagement zu bieten, bei denen sie selbst aktiv werden können und in den Urlaubsregionen zum Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen können. Zudem möchte man so auch das Bewusstsein der Gesellschaft für die Bedeutung der biologischen Vielfalt und ihre Wertschätzung steigern und die Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements erweitern. Ziel ist es, diese Idee bundesweit zu streuen und interessierte Biosphärenreservate, Nationalparks und Naturparks zur Nachahmung anzuregen. Corona hat der Projektphase ein Jahr geraubt. Gut also zu hören, dass die Laufzeit um ein Jahr, bis zum 29.2.2024, verlängert wurde, um weiterhin unterschiedliche Formate für Voluntourismusangebote zu erproben.
Voluntourismus, die ehrenamtliche Mitarbeit in Nationalparks und anderen Schutzgebieten, grenzt sich, wie auch andere alternative Reiseformen (Ökotourismus, Aktivurlaub, gemeindeorientierter Tourismus), klar vom Massentourismus ab und orientiert sich an den Maximen der Ethik und des Umwelt- und Kulturschutzes.
Reisen und Tageseinsätze. Pauschalurlauber und Campinggäste.
„Prinzipiell unterscheiden wir zwischen zwei Angebotsformaten, die wir für Campinggäste haben. Im Südschwarzwald haben wir offene Einsatzbereiche ausprobiert – hier können Gäste aller Campingplätze und auch andere Urlauber teilnehmen. Bei den Campern ist die Resonanz allerdings noch etwas mager. Was deutlich besser läuft, sind Veranstaltungen, die ein Campingunternehmen gemeinsam mit einem Nationalpark anbietet. Hier haben die Gäste das Gefühl, dass dieses Projekt exklusiv für sie veranstaltet wurde. Auch haben wir gemerkt, dass Campingurlauber, gerade Familien, ihre Urlaube durchtakten, also bereits vor dem Urlaub ein tägliches Programm geplant haben. Daher möchten wir in diesem Jahr die Gäste früher über Voluntourismusaktivitäten informieren. Zudem müssen wir den Erlebnischarakter unserer Projekte stärken und die Attraktivität der Angebote erhöhen. Der Gast will ja nach seinem Urlaub nicht berichten, dass er malochen musste, sondern lieber stolz erzählen, dass er einen exklusiven Tag in der Natur mit Rangern verbracht hat – in einem Gebiet, wo Besucher sonst gar nicht reindürfen. Naturschutzarbeiten werden leider immer noch mit anstrengender Arbeit assoziiert, nicht mit Zugewinn und Mehrwert. Bei vielen Campern gibt es bereits ein großes Bewusstsein für den Umweltschutz. Viele engagieren sich bereits an ihrem Heimatort, Angebote von Naturschutzorganisationen gibt es viele. Nun ist es unsere Aufgabe, diese Menschen zu erreichen und zu aktivieren, auch in ihrem Urlaub der Natur etwas Gutes zu tun. Dafür braucht es einen kommunikativen Spagat, da müssen wir weiter dranbleiben und wir werden sicher noch einen langen Atem brauchen. Die von uns seit 2020 gesammelten Erfahrungen wollen wir nun auch in andere Regionen übertragen. Fast jeder Campingplatz hat in seiner Umgebung einen Nationalpark oder ein Schutzgebiet. Möglichkeiten gibt es sicher viele. Da wir noch ein Jahr der weiteren Erprobung unseres Projektes vor uns haben, wollen wir deutschlandweit Campingplätze dazu ansprechen.“ Wolfgang Pfrommer, Ecocamping
Mitmachen lohnt sich allemal.
Fotos: Nationale Naturlandschaften e. V.
Noch Luft nach oben. Schlechtes Wetter – gute Ausrede.
„Leider ist die Nachfrage noch sehr verhalten. Alle wollen die Welt verändern, aber keiner will anpacken. Wenn es dann auch noch regnet, wird es noch schwieriger, die Urlauber zu motivieren. Sicherlich mutet es spannender an, in Australien einen Strand zu säubern, als bei schlechtem Wetter auf dem Feldberg zu arbeiten – das ist vielleicht nicht ganz so spaßig. Dass Konzept ist dennoch toll – dass es funktionieren kann, sieht man bei jenen Urlaubern, die explizit eine derartige Urlaubsform suchen. Bei uns auf dem Campingplatz ist dieses Angebot für den Gast ja nur ein Nebenprodukt und selbst Interessierte finden oft Ausreden, um dann doch nicht anpacken zu müssen. Aber das kennen wir doch alle von uns selbst. Es ist also noch Luft nach oben. Wir bleiben dran.“ Florian Kaltenbach, Camping Bankenhof, Hinterzarten
Bewusstsein schaffen. Hürden nehmen.
Der Wille ist da, bloß an der Umsetzung hapert es noch. Im Südschwarzwald will man deshalb mit niederschwelligen Angeboten, mit Tageseinsätzen punkten, um den allseits bekannten Schweinehund leichter zu überlisten. Wer es einfach mal ausprobiert, merkt vielleicht sehr schnell, wie schön, bereichernd und wichtig ein Ehrenamt für die biologische Vielfalt sein kann. So kann ein Bewusstsein für diese ehrenamtliche Tätigkeit geschaffen werden. Die Hürden sind sicher noch da – gut, dass der Fördermittelgeber, das Bundesamt für Naturschutz, explizit möchte, dass alle Beteiligten in diesem Projekt ein weiteres Jahr ausprobieren können, welche Formate funktionieren und wie Tageseinsätze und auch Reisen konzipiert werden müssen, um beim Urlauber anzukommen.
Marketingsprache. Richtige Kommunikation.
„Wir probieren uns gerade noch aus. Wir sind mit sehr viel Fachvokabular in die Kampagne gestartet, haben zum Beispiel von Nephytenentfernung oder Auerwildbiotoppflege geschrieben. Sicher sagt das einem Laien gar nichts, er weiß ja nicht, warum es zum Beispiel wichtig ist, ein Biotop für das Auerwild zu pflegen. Es ist schwierig, dafür die richtigen Worte zu finden, um es verständlich und spannend zu benennen und gleichzeitig das Fachliche, das Seriöse rüberzubringen. Dazu haben wir uns auch intensiv mit Tourismusorganisationen ausgetauscht. Ich tue mir aber schwer mit einem Slogan wie ,Das Auerhuhn retten’, auch wenn es ein Schwerpunktthema ist. Wir haben im Südschwarzwald eine geringe Population dieser Tiere, daher ist die Biotoppflege sehr wichtig, auch damit der genetische Austausch zum Nordschwarzwald erfolgen kann. Aber retten werden wir das Auerhuhn wahrscheinlich dennoch nicht, können nur einen kleinen Beitrag leisten. Zu sagen ,Wir retten das Auerhuhn’, wäre ein zu hohes Versprechen. Wir sind also noch in der Findungsphase, wie wir die Gäste erreichen und was bei ihnen ankommt. Die Erfahrung der letzten zwei Jahre hat zumindest im Südschwarzwald gezeigt, dass es augenblicklich hauptsächlich die Tagesgäste und die Einheimischen sind, die wir mit unseren Einsätzen erreichen. Das eigentliche Ziel, mit dem wir unter dem Titel Voluntourismus angetreten sind, ist es aber, auch die Urlaubsgäste in den Regionen anzusprechen. Wir sind also noch auf der Suche, über welche Kanäle das am besten funktionieren kann. Dafür stehen wir auch in engem Austausch mit Ecocamping und den Campingplätzen im Südschwarzwald. Auf vielen Plätzen gibt es bereits ein Überangebot an Aktionsmöglichkeiten – da müssen wir uns nun überzeugend durchsetzen und den Gast überzeugen, dass unser Projekt nicht weniger attraktiv ist als Angebote, die vordergründig nach Abenteuer und Spaß klingen. Eine Herausforderung, die wir gerne suchen. All unsere Erkenntnisse nutzen wir zum Lernen, um im Ziel einen Handlungsleitfaden auch für andere Regionen und Naturschutzgebiete in Deutschland zur Verfügung stellen und ihnen Tipps und Tricks an die Hand geben zu können. Wir werden uns noch weiter ausprobieren, schauen, was geht und was im Zweifel eben auch nicht geht. Vielleicht ist das Schlüsselwort zum Erfolg ja das exklusive Abenteuer.“ Christine Peter, Naturpark Südschwarzwald
Modellregion Südschwarzwald: Projektbeispiel Hochmoor
Mitten im Naturschutzgebiet Feldberg im Naturpark Südschwarzwald existiert eines der wenigen Hochmoore in Süddeutschland, das Hirschbäder Moor. Hochmoore sind nicht nur Heimat für viele seltene Pflanzenarten wie den Sonnentau, sondern auch wichtiger Speicher von Kohlenstoff. Daher sind sie unverzichtbar für den Klimaschutz. Besucher können dieses faszinierende, aber hochsensible Gebiet auf einem speziellen Weg erkunden. Das Hochmoor hat aber nur eine Überlebenschance, wenn sich Gäste an die strenge Wegepflicht halten. Damit Besucher ein attraktives Wegenetz vorfinden, müssen die Wege und Stege regelmäßig überprüft und ausgebessert werden – besonders in den feuchten Bereichen des Moores. Im Sommer letzten Jahres haben daher aktive Touristen gemeinsam mit dem Feldbergförster Jens Göttfert einen Bohlenweg quer durch das Hochmoor erneuert.
Eine gelungene Verbindung von Spaß, Freude und sinnvoller Tätigkeit
Fotos: Nationale Naturlandschaften e. V.
Produktives Miteinander. Auf die Region zugeschnitten.
„Wir alle, die in diesem Projekt arbeiten, sind mit sehr viel Herzblut dabei und ziehen gemeinsam an einem Strang. Es gibt regelmäßige Onlinemeetings, wir haben eine einheitliche Evaluation (Fragebögen) und einmal im Jahr trifft sich eine projektbegleitende Arbeitsgruppe. Ein sehr schöner und vitaler Austausch. Alle Modellregionen haben natürlich unterschiedliche Bedingungen und Voraussetzungen für die Planung eines Projektes – so müssen wir genau eruieren, was wo funktionieren kann. Bei uns im Müritz-Nationalpark hat die Erfahrung gezeigt, dass alle, die zum Beispiel bei der Aktion ,Vom Waldglas zum Altglas’ teilgenommen haben, begeistert waren. Gerade für Familien war die Verbindung aus Führung und Sammelaktion ein echter Mehrwert, ein schönes Gesamtpaket. Auch Moore sind ein großes Thema bei uns im Südschwarzwald. Lange wurden sie stiefmütterlich behandelt, nun werden wir dort, wo es möglich ist, die Moorgräben verschließen und das Wasser zurückhalten. Das ist purer Klimaschutz, was bei der Kommunikation der Aktion stark im Fokus stehen sollte. Natürlich muss ein solches Vorhaben gut durchdacht und vorbereitet sein, da unsere Ranger nicht unendlich Kapazitäten frei haben. Das macht die ganze Sache aber wiederum sehr spannend und interessant. Richtig verpackt bekommt dieses Angebot so einen Eventcharakter! Vielleicht lösen wir ja einen neuen Trend aus. Mit Plogging (während des Joggens Müll sammeln) haben wir es ja auch schon geschafft.“ Therese Thümmler, Müritz-Nationalpark
Modellregion Müritz-Nationalpark: Vom Waldglas zum Altglas
Der Camping- und Ferienpark Havelberge liegt direkt am Müritz-Nationalpark. Ausgedehnte Kiefernwälder prägen die Landschaft. Diese dienten lange als Quelle für Baumharz, einem wertvollen Rohstoff für chemische Produkte. Die Kiefern wurden angeritzt, um die Harzproduktion anzuregen. An den Baumstämmen hingen Gläser, die das herabtropfende Baumharz aufgefangen haben. Ab 1990 war Baumharz nicht mehr gefragt und viele Gläser und Scherben blieben im Wald. Mit der in den letzten Jahren zunehmenden Trockenheit steigt jedoch auch die Gefahr von Waldbränden. Zum Schutz gegen Waldbrände, aber auch zur Verhinderung von Verletzungen von Mensch und Tier müssen die alten Gläser raus aus dem Wald. Dieser Aufgabe haben sich im letzten Sommer einige Campingfamilien gestellt. Jetzt ist das Gebiet frei von den Altlasten vergangener Tage. (KW)
Ein tolles Erlebnis, das Campinggäste so nicht jeden Tag haben und von dem sie Freunden und Bekannten zu Hause erzählen werden.
Fotos: Nationale Naturlandschaften e. V.
Mehr Infos unter: www.nationale-naturlandschaften.de, www.naturpark-suedschwarzwald.de, www.mueritz-nationalpark.de, www.ecocamping.de