Der Camptalk mit Michael Kranz

Foto: Stephan Pick

Michael Kranz ist ein deutscher Schauspieler, Dokumentarfilmer und Musiker. Er drehte mit Hollywoodgrößen wie Steven Spielberg oder Quentin Tarantino und wurde 2022 für seinen Film „Was tun“ unter anderem mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Die Dokumentation zeigt Zwangsprostitution in Bangladesch und gab den Startschuss für das Bondhu-Projekt. Wir freuen uns sehr, dass Michael Zeit für ein Interview hat.

Der Dokumentarfilm „WAS TUN?“ von Michael Kranz hat viele Auszeichnungen erhalten und ist noch bis Ende Mai in der ARD Mediathek zu sehen. Er wühlt auf, zeigt die schrecklichen Lebensumstände, mit denen Frauen und ihre Kinder in den Bordellen von Bangladesch kämpfen müssen. Noch während der Dreharbeiten entstand das Bondhu-Projekt, das unter anderem dabei hilft, ehemaligen Zwangsprostituierten ein selbstbestimmtes Leben – außerhalb des Bordells – zu ermöglichen.

Foto: Michael Kranz

Michael Kranz (l.) und sein Vater Georg (2.v.r und großer Campingfan), treffen Chanchala Mondal (2.v.l.) und Shyamal Adhikary (r.) von “Shapla Mohila Shangstha” der Hilfsorganisation, die Michael während der Dreharbeiten  zu “Was tun?” unterstützt hat und Partner des Bondhu-Projektes ist.

CWH: Bevor wir über Ihren beeindruckenden Dokumentarfilm sprechen, interessiert mich natürlich auch, ob Sie einen Bezug zum Campen haben.
MK: Ja, den habe ich. Meine Taufpatin ist die Tochter von Arist Dethleffs.

CWH: Wie interessant! Wie ich im Internet gelesen habe, soll es ja Frau Dethleffs gewesen sein, die Arist auf die Idee brachte, einen Wohnwagen zu bauen. Sie hatte wohl bemängelt, dass er geschäftlich dauernd unterwegs ist. Daraufhin soll Arist nach einer Möglichkeit gesucht haben, wie sie ihn begleiten kann.
MK: Hinzu kam, dass seine Gattin eine der ersten Frauen war, die an der Kunstakademie in Karlsruhe aufgenommen wurde. Da sie oft Naturstudien malte, baute ihr Arist den ersten Wohnwagen – quasi als mobiles Atelier. Auch meine Patentante bekam als Kind von ihm einen eigenen Wohnwagen gebaut.

CWH: Gibt es noch weitere Verbindungen zum Camping?
MK: Als ich jung war, hatten meine Eltern ein Wohnmobil. Das war unser Zweitauto, das ich nehmen durfte, wenn ich einen fahrbaren Untersatz brauchte. Mein Bruder und ich waren auf unserer Schule dann „die mit dem Wohnmobil“. Vor einem halben Jahr habe ich mir einen 50 Jahre alten Mercedes-Bus gekauft, der zum Wohnmobil umgebaut ist.

CWH: Wow, wie cool!
MK: So schön er auch ist – ich muss zugeben, dass ich bereits einiges an Geld in Reparaturen investieren musste. Aber na ja, er ist halt schon etwas älter. (lacht)

CWH: Wie finden Sie klassische Campingplätze?
MK: Ehrlich gesagt, ist das weniger mein Ding. Ich mache das schon hin und wieder, aber individuelle Plätze, auf denen man legal stehen darf, sind mir lieber. Sicher werde ich mit meinem neuen Oldtimer auch mal auf einem Campingplatz übernachten, aber nicht längere Zeit am Stück.

CWH: Cut – kommen wir zu Ihrer Karriere als Schauspieler. Wie kam es zu diesem Berufswunsch? Ihre Jugend deutete nicht unbedingt darauf hin.
MK: Mein Vater war Oberarzt in einer Psychiatrie. Unserer Familie hat in der Residenzarztwohnung auf dem Gelände der Psychatrie gewohnt. Das war dort keine ganz natürliche Umgebung. Wir haben uns früh mit Menschen auseinandergesetzt, die mit psychischen Herausforderungen zu kämpfen hatten und nicht in die Norm passten. Es hat mich neugierig gemacht, was sie antreibt – ich bin also mit sozialen Themen groß geworden. Auf dem Gymnasium hatte ich dann einen tollen Kunstlehrer, der das Schultheater leitete, für das ich mich sofort begeisterte. Ich war nach der Schule dann erst einmal hin- und hergerissen, fragte mich, was ich werden soll. Wie meine ganze Familie einen sozialen Beruf ergreifen oder lieber Schauspieler werden? Bald habe ich jedoch verstanden, dass auch das Schauspiel eine sehr starke soziale Komponente hat. Es geht auch hier immer um Menschen und ihre Schicksale, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Also wurde ich Schauspieler.

CWH: Gut so, denn Sie haben bereits in vielen Filmen überzeugt, sogar mit Steven Spielberg und Quentin Tarantino gedreht, den ganz großen Regisseuren Hollywoods.
MK: Ja, das stimmt. Allerdings waren meine Rollen in diesen Filmen nicht besonders groß, dennoch war es eine sehr spannende Erfahrung für mich. Auch die Dimensionen solcher Produktionen sind gewaltig. Für „Bridge of Spice“ mit Steven Spielberg haben wir bei einer Grafschaft in England gedreht. Das war riesig dort, es gab Hunderte von Pferden, ganze Schützengräben wurden für den Film ausgehoben, schon irre.

CWH: Wie ist ein Dreh mit Steven Spielberg?
MK: Spielberg ist perfekt vorbereitet, dennoch offen für den Moment. Wenn es sinnvolle Verbesserungsvorschläge gibt, lässt er auch schon mal kurzerhand das ganze Szenenbild ändern. Das fand ich sehr beeindruckend.

CWH: Gibt es aktuelle neue Projekte, über die Sie schon sprechen dürfen?
MK: Ich spiele zum Beispiel in Vienna Blood, einer ZDF/ORF-Serie mit und beim neuen Eberhofer-Krimi.

CWH: Ach, mit Simon Schwarz und Sebastian Bezzel hatten wir auch erst kürzlich ein Interview im Heft. Nette Jungs!
MK: Ja, ich mag die beiden auch sehr!

CWH: Dürfen Sie schon verraten, welche Rolle Sie im neuen Eberhofer-Film spielen?
MK: Nein, leider nicht.
CWH: Zu schade!

CWH: Parallel zum Schauspiel haben Sie an der Filmhochschule Dokumentarfilm und Regie studiert. Ihr Abschlussfilm „Was tun?“ ist harter Tobak – es geht um Zwangsprostitution in Bangladesch. Wie kam es dazu?
MK: Es ging während des Studiums irgendwann darum, mir ein Projekt zu überlegen. Ich habe mir dafür viele Dokumentarfilme angeschaut – auch „Whores’ Glory“ von Michael Glawogger, in dem es um Prostitution in verschiedenen Ländern geht. Das Schicksal einer 15-Jährigen aus Bangladesch hat mich nicht mehr losgelassen. Sie hat in einer Szene gefragt: „Gibt es keinen anderen Weg für uns Frauen als den des Leides? Gibt es überhaupt einen Weg? Wer kann mir diese Fragen beantworten?“ Wieder einmal habe ich dabei festgestellt, wie sehr ich als Zuschauer von all diesen Problemen überfordert werde, von all diesem medial vermittelten Leid. Wie soll und wie kann ich damit überhaupt umgehen? Wenn ich im realen Leben jemanden sehe, der blutet, kann ich sofort ins Handeln kommen und etwas tun. Wenn ich Leid aber „nur“ medial zu sehen bekomme, kann ich nicht unmittelbar handeln, was das Gefühl von Passivität und Hilflosigkeit verstärkt. Nun wusste ich also, dass es diese Welt gibt und dass das Mädchen dort immer noch lebt. Ich habe mich dann intensiv damit auseinandergesetzt und beschlossen, selber nach Bangladesch zu reisen, das Mädchen zu suchen und einen Dokumentarfilm zu drehen.

Aus „guten Gründen“ nichts getan hatte ich schon viel zu oft. (Zitat aus dem Trailer zum Film)

CWH: Wie bereitet man sich darauf vor?
MK: Ich bin bewusst naiv an die Sache herangegangen. Mit den Metathemen hatte ich mich natürlich vorab auseinandergesetzt – zum Beispiel mit der Frage, inwieweit es problematisch ist, wenn ich als hellhäutiger westlicher Mann in einem Prostitutionsumfeld zu filmen anfange. Dennoch war von Anfang an der Ansatz da, dass die Zuschauer diese Welt genauso kennenlernen sollen, wie ich es tue, also ich als Filmer keinen großen Wissensvorsprung habe. So habe ich vorab nicht alles organisiert und auch nicht gewusst, was passieren wird. Der Zuschauer begleitet mich auf dieser Reise, die immer tiefer in die Welt der bangladeschischen Zwangsprostitution führt, in der Frauen und Mädchen misshandelt werden und selbst befreite Mädchen wieder weggesperrt werden, weil niemand weiß, wohin mit ihnen.

CWH: Den Film haben Sie alleine, ohne einen Sender, produziert?
MK: Ja, mein Produzent und ich wussten, dass das Projekt ergebnisoffen sein muss, denn Prostitution ist in Bangladesch stark stigmatisiert. Auch bei den Dreharbeiten zu „Whores’ Glory“ wurde es für manche Menschen problematisch, die im Film zu sehen waren. Ich wollte die Chance haben, die Kamera wieder einzupacken und ohne Film heimzufliegen, wenn ich merke, dass es nicht gut ist, dort zu filmen.

CWH: Das ist aber nicht passiert.
MK: Nein, als ich vor Ort angekommen war, ging alles sehr leicht. Die Bangladeschi sind sehr gastfreundlich und viele wollten mir dabei helfen, Türen zu öffnen. Im Vorfeld ging es erst einmal darum, Vertrauen zu bilden. Ich hatte mich schnell mit einigen Kindern angefreundet, bald vertrauten mir auch die Mütter. Unterstützt wurde ich während der Dreharbeiten auch von dem bengalischen Ehepaar Chanchala Mondal und Shyamal Adhikary, die eine familiengeführte Hilfsorganisation namens Shapla Mohila Shangstha (Frauenhilfswerk Lilie) leiten und die Rechte und Lebensbedingungen von Frauen und Kindern im Bordellmilieu stärken und verbessern helfen. Zwei ganz wunderbare Menschen, die sogar zur Verleihung des Bayerischen Filmpreises nach München eingeladen wurden. Das hat mich unglaublich gefreut!

CWH: In einer Filmszene haben Sie ein Interview mit einem Menschenhändler geführt, der junge Mädchen ins Bordell vermittelt. Schauderhaft, wie bleibt man da ruhig?
MK: Die Welt, die ganze Lebenswirklichkeit, ist dort so anders – mit unserer nicht zu vergleichen. Ich habe daher versucht, so wenig wie möglich in eine Wertung und in eine Be- oder Verurteilung zu kommen. Als Dokumentarfilmer geht es ja in erster Linie um das Verstehen. Wenn ich zu schnell in einem Urteil bin, behindert das.

CWH: Während der Dreharbeiten machten Sie einen Spendenaufruf über Facebook. Mit dem gesammelten Geld konnte inzwischen ein Kinderheim und ein Ausbildungsprojekt für ehemalige Zwangsprostituierte initiiert werden.
MK: Daraus ging der Bondhu Förderverein Deutschland hervor. Vor Ort wird das Projekt von Chanchala Mondal und Shyamal Adhikary betreut, das funktioniert gut ohne mich. Wenn Dinge aber neu organisiert werden oder neue Weichen gestellt werden müssen, fliege ich hin.

CWH: So auch wieder in zwei Tagen, wie ich erfahren habe?
MK: Das ist richtig. Das Heim muss umgebaut werden, wir brauchen einen neuen Heimleiter und ein neues Ausbildungsprojekt ist auch in Planung.
Anmerkung der Redaktion: Michael Kranz konnte mittlerweile einen neuen Heimleiter und einen neuen Betreuer einstellen und ist seit Ende März wieder zurück in Deutschland.

CWH: Lieber Herr Kranz, herzlichen Dank für das Interview. Ich wünsche Ihnen, dass noch sehr viele Menschen Ihren Film anschauen werden und für Ihr wunderbares Bondhu-Projekt weiterhin gutes Gelingen und viele Spenden!

Mehr Infos unter: was-tun-film.de, bundubundu.com und michaelkranz.com