Einblicke
Christoph Holz, ein begeisterter Camper, hat Informatik und Raumfahrttechnik in München studiert und ist heute Keynote-Speaker und Podcaster. Sein Wissensstand scheint dem von ChatGPT in nichts nachzustehen, was ihn zu einem wunderbaren Gesprächspartner macht. Er entführt in das Universum der künstlichen Intelligenz, gibt Einsichten zu ihrer Entwicklung, ihrem Nutzen und ihren Gefahren.
CWH: Ganz banal gefragt: Was ist künstliche Intelligenz?
CH: KI ist der Traum, etwas erschaffen zu wollen, was selber denken kann. Diese Sehnsucht gibt es seit der Antike. Schon Daidalos, der Vater von Ikarus, soll lebende Skulpturen, Roboter gefertigt haben. Mit Beginn des Informatikzeitalters wird diese Begierde nach künstlicher Intelligenz stetig vorangetrieben. Das Streben, künstliche Lebewesen erschaffen zu wollen, ist aber eine Hybris (extreme Form der Selbstüberschätzung) und eigentlich das Streben nach dem Göttlichen, wie es der israelische Historiker Yuval Noah Harari formuliert. Dennoch ist künstliche Intelligenz unterm Strich immer nur das, was noch nicht funktioniert – denn funktioniert es, geben wir den Dingen einen Namen und nennen sie Taschenrechner oder Schachcomputer. Als der Taschenrechner aufkam, hieß er Rechengehirn, wir waren von seiner enormen Leistung verblüfft. Heute ist er ganz selbstverständlich und nichts Besonderes mehr. Oder denken wir an den Schachweltmeister Garri Kasparow, der in den 90er-Jahren von Deep Blue, einem Schachcomputer, geschlagen wurde. Damals dachten alle: „Das ist jetzt wirklich künstliche Intelligenz, wenn eine Maschine einen Menschen schlagen kann.“ Heute ist es einfach „nur“ ein Schachcomputer, mehr nicht. Wenn Dinge, die wir für künstliche Intelligenz gehalten haben, Normalität geworden sind, nehmen wir sie gar nicht mehr wahr. Das ist die schöne Nachricht, denn KI wird ewig unerreichbar sein – denn funktioniert sie, bekommt sie einen neuen Namen.
CWH: Das klingt sehr verständlich, dennoch macht sie vielen Angst.
CH: Angst ist eine Verzerrung, ein Denkfehler in unserem Gehirn. Sie ist vielfach stärker als Freude. Das liegt daran, dass es früher sehr gefährlich war, zum Beispiel von einem Säbelzahntiger verspeist zu werden. Davon dürfen wir uns aber nicht ins Bockshorn jagen lassen, denn im Normalfall ist Angst in unserer modernen Gesellschaft ein Irrtum. Wenn sich jemand fürchtet, weil ein großer Schäferhund zähnefletschend auf ihn zuläuft, dann ist das eine Furcht, die gesund und realistisch ist, denn man kann weglaufen, wenn es noch geht. Ich spreche von jener Angst, die uns nachts aufwachen lässt und wir uns Sorgen über Dinge machen, die im Moment noch gar nicht relevant sind. Das ist der Fluch der natürlichen Intelligenz – wir machen Prognosen, stellen uns alle möglichen Dinge vor. Die Lücken, die wir in unseren Prognosen finden, füllen wir mit Angst. Diese ist aber kein guter Ersatz für Unwissenheit.
“KI ist der Traum, etwas erschaffen zu wollen, was selber denken kann. Diese Sehnsucht gibt es seit der Antike.”
CWH: Wird uns KI nachhaltig manipulieren?
CH: Das ist eine Frage nach den Machtverhältnissen, denn wer bestimmt über uns und wer sagt uns, was wir wann und wie zu tun haben? Ein sehr großer Teil in unserer Welt ist doch bereits medial vermittelt – was also wissen wir wirklich über eine Sache? Das, was wir aus den Medien erfahren, wird von irgendwem so als richtig und wichtig empfunden – darauf liegt dann der Fokus unserer Information und bestimmt unsere Wahrnehmung und unser Denken. Natürlich zielt dafür niemand mit einer Pistole auf uns und übt direkte Macht auf uns aus. Wovon ich spreche, ist eine indirekte Macht, eine indirekte Beeinflussung, der wir schon lange medial ausgesetzt sind. Die Werbung ist dafür ein gutes Beispiel. Hier aber erkennen wir die Manipulationen, da wir gelernt haben, mit ihnen umzugehen. Künstliche Intelligenz hingegen geht potenziell sehr viel geschickter vor. War der Schachcomputer damals eine einfache Programmierung, können die neuen Systeme all unsere Daten aufsaugen, so die eigene Qualität des Algorithmus verbessern und immer bessere Suchergebnisse liefern. Wir kennen das seit vielen Jahren. Suchen wir bei Google nach etwas, ploppt kurze Zeit später die passende Werbung zu unserer Suchanfrage auf. Auf Facebook werden uns genau die Dinge aufgezeigt, die am besten zu unseren Vorurteilen passen und diese bestätigen. All das macht seit circa 15 Jahren bereits eine kurative künstliche Intelligenz, ein selbstlernendes System, das menschliche Inhalte betreuen kann und immer mehr versteht, was jedem Einzelnen wertvoll und wichtig ist. Facebook, Twitter und andere von KI gesteuerte Plattformen lassen uns in Abgründe blicken. Das sind keine technischen Abgründe – sondern menschliche. Es muss uns nicht gefallen, aber nie haben wir mehr gelernt, was es heißt, Mensch zu sein.
“Die Entstehung und Entwicklung von künstlicher Intelligenz war und ist ein faszinierender Prozess. Ihr Grundstein wurde in den 30er- und 40er-Jahren gelegt, viele weitere wichtige Meilensteine sollten folgen und haben ihre Geschichte gekennzeichnet.”
CWH: Warum fliegt uns das Thema KI gerade so um die Ohren, obwohl sie schon so lange unter uns ist?
CH: Das, was wir gerade erleben, ist ein Quantensprung in der künstlichen Intelligenz. Nach der kurativen Intelligenz ab 2012 hat uns nun die nächste große Welle erreicht – in Form eines „Außerirdischen“ namens ChatGPT. Dieses System kann das komplette Weltwissen bis ins Jahr 2021 abbilden. Zumindest beim Verfassen von Texten wirkt es wie ein Mensch. Diese neue Dimension facht natürlich Diskussionen an. GPT 4 ist sogar in der Lage, Dinge zu formulieren, die es vorher nicht gab. Den menschlichen Rahmen kann es dabei natürlich nicht verlassen – die gelieferten Ergebnisse verblüffen aber selbst Informatiker.
CWH: Zum Beispiel?
CH: Man hat das System gebeten, folgende Dinge übereinanderzustapeln: neun rohe Eier, einen Laptop, eine Wasserflasche, einen Nagel und ein Buch. GPT gab die Anweisung, das Buch auf eine waagerechte Fläche zu legen, die Eier im Rechteck in der Größe des Laptops darauf anzuordnen und auspendeln zu lassen. Dann den Laptop darüberlegen, die Wasserflasche daraufstellen und den Nagel mit der flachen Seite auf den Verschluss der Flasche stellen. Richten wir diese Frage an das Internet, werden wir keine fertige Lösung finden. Dieses System hat aber offenbar die Physik der Eier gelernt und verstanden, nämlich dass man sie nicht übereinanderstapeln kann, sondern nebeneinander platzieren muss, um das Gewicht des Laptops auf den Schalen zu verteilen.
CWH: Verrückt! Was hat die Entwicklung von ChatGPT gekostet und wie lange hat die Entwicklung gedauert?
CH: Das Ganze hat circa sieben Millionen Dollar gekostet. Die Lernphase, bis das Training abgeschlossen war, dauerte vielleicht ein halbes Jahr. Danach musste die KI aber noch erzogen werden.
CWH: Soll heißen?
CH: Das System muss inzwischen politisch korrekt laufen, da es früher öfter mal Skandale gab. Geben Sie heute bei GPT einmal die Frage ein, ob Frauen auch gute Menschen sind. Was glauben Sie, was Sie da zu lesen bekommen!
CWH: Gut erzogen heißt aber wohl nicht, dass KI immer die Wahrheit sagt?
CH: ChatGPT lügt genauso wie wir, denn all seine Informationen hat es doch von uns. Mit der Wahrheit ist es aber ohnehin eine schwierige Sache. Lügen ist sehr viel einfacher zu erkennen. Wenn aber jemand glaubt, was er sagt, wird es schon schwieriger, denn Selbstbetrug ist nicht strafbar – leider.
CWH: Auch Worst-Case-Szenarien werden laut. Wie gefährlich könnte uns KI werden?
CH: Es gibt letztendlich drei Gefahrenpotenziale, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Das ist einmal die Manipulation durch die Systeme selber und dass sich die Menschen aufgrund ihrer eigenen Vorurteile damit selber überlisten. Dann sind da die Diktatoren und andere Bösewichte, die beim Einsatz von KI vielleicht nicht immer das Wohl der Menschheit im Sinne haben. Vielleicht merkt die KI auch irgendwann, dass sie viel klüger ist als wir. Warum also sollte sie uns dann nicht ausrotten? Auch wenn man das Terminator-Szenario nicht komplett ausschließen kann, werden wir eher von einem Meteoriten getroffen, von Aliens entführt oder in einem Badesee von einem Hai gebissen. Ich bin der Meinung, dass der Mensch sich eher selber ausrottet, bevor das die KI tut. Ich habe deswegen keine schlaflosen Nächte – denn sollte das Ding wirklich einmal gefährlich werden, dann schalten wir es eben nicht mehr ein.
CWH: Denken wir also positiv und hoffen auf einen guten Einfluss der KI?
CH: Ja, denn künstliche Intelligenz kann uns wahrscheinlich helfen, die größten Herausforderungen der Menschheit zu lösen. Denken wir nur einmal an weltweite Verteilungskämpfe um Nahrungsmittel. Diese wären aber gar nicht nötig, da wir längst einen Überschuss haben, der für alle reichen würde. Solange wir uns aber gegenseitig etwas wegnehmen müssen, wird es Kriege geben. Um derartige Probleme zu lösen, könnte uns die KI humanistische Lösungen und Ergebnisse liefern und uns dabei helfen, die besseren und gerechteren Menschen zu werden. Dann würde die künstliche Intelligenz über die menschliche Dummheit siegen.
CWH: Zum Schluss noch die Frage, wie und ob KI den Tourismus und das Reiseverhalten verändern wird.
CH: Wir wissen alle, wie mühsam die Reiseplanung selbst im Internet ist. Heute kann ChatGPT 4 bereits gute Reisevorschläge zur Verfügung stellen (Wissensstand endet 2021), wenn man das System mit detaillierten Infos wie verfügbare Zeiten, Vorlieben usw. füttert. Urlaubsplanungen werden künftig also wesentlich einfacher und unkomplizierter werden und Urlaubern bessere Erlebnisse bescheren. Damit das gelingt, müssen aber auch touristische Anbieter wie Campingplätze ihre umfänglichen Informationen zur Verfügung stellen, damit diese von der KI verarbeitet werden können. KI-Systeme werden künftig das Netz nach interessanten und gut aufbereiten Themen abgrasen. Davon können Campingplatzbetreiber und Urlauber enorm profitieren.
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Über Christoph Holz
Foto: Christoph Holz
Er ist Keynote-Speaker, bietet bei seinen Auftritten eine spannende, umfassende und zugängliche Darstellung der wichtigsten Entwicklungen und Trends im Bereich der künstlichen Intelligenz, ChatGPT, OpenAI und Digitalisierung und stellt die komplexe digitale Welt auf unvergleichliche und humorvolle Weise dar. In seinem wöchentlichen Podcast „DIGITAL SENSEMAKER“ unterhält er sich mit bekannten Persönlichkeiten aus IT, Wirtschaft & Co. über spannende Zukunftsthemen und fragt nach dem Sinn und Unsinn hinter der Digitalisierung. Unbedingt reinhören unter: christophholz.com