Foto: Marco Fechner, Pressefoto Stefan Gelbhaar
Nachgefragt bei Stefan Gelbhaar, Mitglied des Deutschen Bundestags, Bündnis 90/Die Grünen
CWH: Herr Gelbhaar, wie geht es in Sachen E-Mobilität voran?
SG: Wir stehen am Wendepunkt. Die Bundesregierung kommt zwar immer noch nicht aus dem Knick, die Industrie hingegen setzt inzwischen klare Zeichen. Von Volkswagen liegt eine klare Elektromobilitätsstrategie vor. Auch Daimler hat signalisiert, bis 2030 auf E-Mobilität umstellen zu wollen. Nun muss die kommende Bundesregierung in die Pötte kommen und die Rahmenbedingungen endlich so setzen, dass den Worten Taten folgen.
CWH: Wie müssen diese Rahmenbedingungen aussehen?
SG: Wir brauchen eine gute Lade-Infrastruktur. Das muss ernst genommen werden. Zwar ist es nicht per se so, dass die Regierung für den Bau von E-Tankstellen verantwortlich ist. Benzin und Diesel sind ja auch nicht in staatlicher Hand. Dennoch sehe ich eine Verantwortung. Bei Autobahnen und Raststätten muss das forciert werden. Für Supermärkte und Gebäude muss der rechtliche Rahmen geschaffen werden. Für die Mobilitätsbranche muss der Schalter umgelegt werden. Es muss nicht mehr fossil, sondern emissionsfrei gefördert werden. Das ist bisher nicht oder allenfalls sehr zurückhaltend getan worden. Im Gegenteil, weiterhin wird Diesel an der Tankstelle noch immer subventioniert. Wenn wir ehrlich sind, gibt es erst seit der Coronapandemie eine überschaubare Wirtschaftsförderung in Richtung emissionsfrei. Dennoch werden absurderweise fossile Technologien weiterhin in Milliardenhöhe gefördert.
CWH: Man hat das Gefühl, dass die Politik massiv ausbremst. Hat die Automobilbranche eine derartige Macht, oder woran liegt es?
SG: Stellen Sie sich vor, Sie produzieren einen Gegenstand, der sich richtig gut verkauft. Jetzt komme ich und sage: „Das ist ja alles gut und schön, dass sich Ihr Produkt so gut verkauft. Es hat aber einen schädlichen Einfluss, Sie sollten es so nicht mehr verkaufen, anpassen wäre gut.“ Das würde aber Geld kosten, würden Sie denken. Zudem ist da die Konkurrenz, die vielleicht einfach so weitermacht, wenn die Rahmenbedingungen nicht angepasst werden. Also verkaufen auch Sie Ihr Produkt weiter und sagen: „Das schafft Arbeitsplätze“, was Sie auch ganz gut darstellen können. Folglich ändert sich nichts. Deswegen braucht es politische Vorgaben und rechtliche Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb auf ökologischer Grundlage – und dafür gibt es Bundestagswahlen, um diese Weichen zu stellen.
CWH: Stichwort Autoindustrie …
SG: Immer wieder hört man von der Automobilindustrie die Aussage: „Wir sichern zig Tausende von Arbeitsplätzen, wenn sich jetzt etwas verändert, gefährdet das Arbeitsplätze! Das soll dann doch die Regierung den Leuten erklären, nicht wir als Automobilindustrie.“ Dieser Konflikt muss aufgelöst werden. Auch mit E-Mobilität werden Arbeitsplätze geschaffen. Es geht ja auch letztendlich nicht darum, nur irgendein Produkt herzustellen, um es zu verkaufen, egal was danach kommt. Es sollte darum gehen, ein menschliches Bedürfnis namens Mobilität zu erfüllen. Fakt ist doch: Die Klimakrise hat massiv mit unserer aktuellen Mobilität zu tun. Bisher stand die Regierung auf der Bremse. Ich hoffe, dass Deutschland hier endlich die Leinen loslegt, da gerade auch in anderen europäischen Ländern einiges passiert.
CWH: Wie viel hat die Mobilität mit der Klimakrise zu tun?
SG: Über 20 Prozent der CO₂-Emissionen kommen aus dem Mobilitätsbereich. Das sind dramatische Zahlen, bis zu 95 Prozent der CO₂-Emission kommt alleine aus dem Straßenverkehr, also PKW und LKW.
CWH: Wäre es dann nicht sinnvoll, die Zahl der Autos zu reduzieren?
SG: Wir haben in Deutschland derzeit 49 Millionen PKWs. Alle Menschen, vom Baby bis zum Greis, würden auf die Vordersitze dieser PKWs passen – und ein paar Millionen Autos stünden trotzdem noch leer herum. Die Masse ist extrem. Dabei sind die zwei Millionen LKWs noch gar nicht mit eingerechnet. Wir können an der Stelle massiv effizienter werden.
CWH: Wie sieht es denn mit der Entwicklung der E-Mobilität bei den LKWs aus?
SG: Schwieriger als bei den PKWs, da die technologische Entwicklung hier noch nicht so weit ist. Daimler und MAN schätzen, dass auch hier das Gros der LKWs zukünftig mit Batterien angetrieben werden wird. Viele LKWs fahren Kurzstrecke, sind auf regionalen Touren unterwegs. In Sachen Langstrecke ist die Debatte noch völlig offen. Hier stehen Batterie und auch Wasserstoff zur Diskussion, auch über aktuell allerdings sehr teure synthetische Kraftstoffe wird diskutiert.
CWH: Die Emissionsfreiheit bei der E-Mobilität ist natürlich fein, aber ist es wirklich ökologisch, denken wir nur an die nötigen Rohstoffe, den Abbau etc. Wäre da die Lösung mit Wasserstoff nicht nachhaltiger?
SG: Einige Unternehmen, etwa Toyota, spielen seit Jahrzehnten mit diesem Thema. Aber auf der Straße kommt nichts davon an. Wasserstoff – das muss bedacht sein, will auch erst mal produziert werden, braucht dazu auch Strom, darunter leider die energetische Effizienz.
CWH: Noch mal kurz zur Batterie: Gibt es hier Fortschritte, dass künftig vielleicht auf Lithium und Kobalt verzichtet werden kann?
SG: Batterien, die ohne Kobalt auskommen, gibt es. An der Reduzierung des Anteils der seltenen Rohstoffe wird aus vielen Gründen gearbeitet. In Südkorea wird noch in ganz andere Richtungen geforscht, Batterien aus Algen zum Beispiel. Das ist schon spooky. Wie leistungsfähig das ist, darauf bin ich gespannt. Technologisch wird bei den Batterien gerade viel entwickelt – richtigerweise. Eine Herausforderung ist auch das Recycling, was breit auf die Agenda gehört.
CWH: Wann wird die E-Mobilität dominieren?
SG: Bis spätestens 2030 müssen wir so weit sein, dass keine neuen PKWs mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden, Stichwort Klimakrise. Wir sehen es aktuell ja weltweit, wie schnell der erarbeitete Wohlstand gefährdet ist oder gar verloren geht. Und auch andere Treiber kommen, etwa die Urbanisierung in Städten. Dort ist zu bestimmten Zeiten mehr Autostau als Fahrt. Das muss endlich ernst genommen werden. Es braucht mehr Angebote für die Mobilität, eine bessere Infrastruktur muss geschaffen werden. Es gibt in Deutschland ca. 70 Millionen Fahrräder, also mehr als Autos. Alte Wirtschaftswege können für das Rad neu entdeckt werden, damit auch Menschen auf dem Land endlich sicher Fahrrad fahren können. Wir brauchen ein öffentliches und flächendeckendes Angebot für Mobilität. Die Digitalisierung spielt uns da in die Hand. Natürlich bringt es nichts, Busse leer fahren zu lassen. Der Mensch kann über sein Smartphone zum Beispiel Poolingdienste, Sammeltaxis oder Bürgerbusse zu einem bezahlbaren Preis ordern. Das würde die Abhängigkeit vom eigenen Fahrzeug deutlich verringern. In dieser Richtung hat Deutschland bisher einfach zu wenig getan.
CWH: Sie sprechen davon, ab 2030 keine neuen Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Für mich klingt das etwas unrealistisch. Wie soll das in knapp neun Jahren funktionieren?
SG: Die Debatte läuft. Tesla hat die Branche aufgemischt. Es gibt kaum noch einen Hersteller, der sein Angebot an E-Fahrzeugen nicht weiter ausbaut und künftig massenweise produzieren will. Früher war das Sorgenkind Daimler – heute ist es eher BMW, die sich eher in Richtung Wasserstoff ausrichten. 2030 wird in der Branche ernst genommen. Unrealistisch ist das nicht.
CWH: Wie sieht es in anderen Ländern aus?
SG: Bei Ford und General Motors gibt es klare Signale, Renault verfolgt eine klare Strategie. Norwegen will bereits 2025 nur noch E-Autos zulassen. Wenn nun auch Deutschland umschwenkt, können wir Taktgeber für weitere Länder sein.
CWH: Als Bürger glaubt man ja nun nicht mehr wirklich an die Versprechen der Politik.
SG: Ja, das ist leider so. Dieselgate, Maut und unser Verkehrsminister Andreas Scheuer haben das Vertrauen nun wirklich nicht gerade gestärkt. Dennoch denke ich, dass die anstehende Bundestagswahl die Möglichkeit für einen Neuanfang ist, um das Blatt zu wenden.
CWH: Kommen wir noch kurz zur globalen Klimakrise, die eigentlich niemand mehr leugnen kann. Wir wissen, dass die Natur verzögert reagiert und heutige Auswirkungen das Ergebnis vergangener Jahre sind.
SG: So ist es wohl. Und wieder muss ich sagen, dass die Regierung viel zu unambitioniert war. Da brauchte es die breite Jugendbewegung Fridays for Future, den Hambacher Wald und die trockenen Sommer der letzten Jahre, damit endlich Bewegung in die Sache kommt. Es muss jetzt endlich schnell und tatkräftig gehandelt werden. Es geht beim Klimaschutz nicht nur um den Verkehrsbereich. Da ist die Industrie, die Gebäudewirtschaft, die Energiewirtschaft und die Landwirtschaft. Unsere Aufgabe geht also deutlich weiter, als nur die E-Mobilität voranzutreiben. Nur ein Punkt: Der Kohleausstieg muss deutlich vor 2038 erledigt sein.
CWH: Wie sieht es bei Windkraft und Solar aus?
SG: Bis 2005 ist auf den Gebieten Wind- und Solarkraft viel passiert. Es hat richtig geboomt. Dann ist die Entwicklung wieder in sich zusammengesackt, wurde nicht weiterentwickelt. Tausende Arbeitsplätze gingen verloren. Die Solarfabriken gingen wieder ein bzw. wanderten nach Asien ab. Wir können und müssen das Steuerrad wieder herumziehen, damit sich das Schiff in die richtige Richtung bewegt. Fatal wäre es, wenn stoisch weitergefahren wird, obwohl klar ist, dass in dieser Richtung ein mächtiger Wasserfall namens Klimakrise auf uns wartet.
CWH: Wir sind gespannt, besonders weil es in den Parteien die verschiedensten Standpunkte zu diesem Thema gibt.
SG: Zwischen den Parteien gibt es heiße Debatten. Das macht die Demokratie auch aus: der Streit um die beste Lösung.
CWH: Herzlichen Dank, Herr Gelbhaar, für das Gespräch und Ihre Zeit.