Der Camptalk mit Maler Joachim Lehrer

Die Flugreise

Seine Werke sind surreal, sind Traumwelt und Realität zugleich. Sie entführen uns in zauberhafte Welten, die uns fremd und doch keineswegs unbekannt sind. Seine Protagonisten sind keine Menschen, sondern alte, ausgediente und vergessene Autos, Lokomotiven, Häuschen … und: Wohnwagen. Sie alle erzählen Geschichten von ihren einstigen Besitzern und Konstrukteuren – oder davon, was jeder Betrachter für sich, mit seiner eigenen Reflexion, mit seinen Träumen und Vorstellungen in den Bildern wahrnimmt.

CWH: Wie kamen Sie zur Malerei?
JL: Ich habe in den 70er-Jahren Elektrotechnik in Stuttgart studiert und meine Mittagspausen öfters im Kunstverein verbracht. Dort wurde unter anderem Jan Peter Tripp fest ausgestellt, der bereits den fotorealistischen Malstil aufgegriffen hatte, der zu dieser Zeit aus Amerika nach Deutschland gekommen war. Das hat mich sehr fasziniert und ich dachte: „Wenn ich so malen könnte, dann wäre es mir möglich, meine innere Bildwelt nach außen zu tragen.“ Allerdings hat mich die Tatsache sehr verblüfft, dass die meisten Künstler Fotos abgemalt haben und nicht ihre eigene Bildwelt erschaffen haben.

Frühlingssehnen

CWH: Das hat Sie ermutigt, selber ans Werk zu gehen?
JL: Ja! Ich habe dann Kunstgeschichte studiert und hatte somit Zugang zu historischen Quellen. Die Niederländer, die dieses Malverfahren entwickelt haben, wurden meine Vorbilder. Bis ich diese aufwändige, altmeisterliche Technik der Lasurmalerei allerdings beherrscht habe und zur Perfektion gelangt bin, hat es lange Jahre gedauert.

CWH: Sie haben sich alles selber beigebracht, sind Autodidakt. Hatten Sie Unterstützung?
JL: In Deutschland war das fotorealistische Malen eher verpönt und wurde auf der Akademie nicht unterrichtet. Fast alle Künstler, die diesen Stil beherrschen, sind Autodidakten. Ich persönlich konnte viel von Restauratoren lernen, denn sie wissen, wie Bilder aufgebaut werden. Unterstützung bekam ich auch von Georg Kremer, der die Farbmühle in Aichstetten betrieben und bereits damals Pigmente in die Welt verschickt hat. Dort durfte ich mir wertvolle technische Tipps holen.

Campers große Stunde

CWH: Wie muss man sich diese Lasurmalerei vorstellen?
JL: Kurz gesagt, setzt sich ein solches Bild aus sehr vielen übereinanderliegenden Lasuren zusammen, die so dünn aufgetragen werden, dass der Pinsel keine Spuren hinterlassen kann. Das erfordert akribische Genauigkeit, denn ich kann nichts korrigieren. Beim Malen darf ich keinen Zeitdruck haben und nehme mir für ein Bild circa drei bis fünf Wochen Zeit.

„Der Tübinger Maler spielt virtuos mit unserem Mythos Automobil, wobei seine Bilder sowohl voller Ironie als auch überaus realistisch erscheinen. Mit der Thematisierung von Technik zeigt er Sinnbilder menschlichen Handelns auf, die zur Selektion anregen.“ Galerie Messmer

CWH: Irgendwo habe ich gelesen, dass Sie in Ihren Anfängen Porträts gemalt haben.
JL: Ja, das ist richtig. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich damit keine Eigenständigkeit haben werde, denn meine Bilder sahen aus wie andere auch. Ich wollte zu meinem eigenen Profil finden, welches ich eines Tages auf einem Schrottplatz gefunden habe. (lacht) Ich brauchte ein Ersatzteil für mein Auto und entdeckte dort in einer Ecke alte Lastwagen. Einer hatte es mir besonders angetan, er war schon halb im Erdreich verschwunden. Den habe ich dann gemalt und gemerkt: Genau das ist es! Fortan habe ich Personen gegen Fahrzeuge ausgetauscht. Diese Individuen bekamen für mich die Bedeutung unseres Alter Ego. Sie alle haben ein langes Leben hinter sich gebracht und können nun davon erzählen. Anfang der 80er-Jahre habe ich hauptsächlich Lastwagen, echte Arbeitstiere, gemalt, später kamen die Lebensgeschichten von kleinen Siedlungen, von Häuschen und Wohnwagen dazu. Ich will meine Bilder so darstellen, dass sich der Betrachter, wenn er beispielsweise auf einen meiner Wohnwagen blickt, sofort fragt: „Wie kommt er an diesen Platz? Wer bewohnt ihn? Könnte ich selber dort leben? Ich bin immer darauf aus, kleine Idyllen zu schaffen, die in fast schon unheimlicher, in verlorener Weite stehen und unseren Alltag reflektieren, in dem wir uns bewegen.

CWH: Ihre Bilder sind letztendlich Lost Places, womit Sie im Trend liegen, richtig?
JL: Allerdings. In meinen Bildern ist ja nichts so richtig intakt, alles ist im Verfall. Bereits in den 80er-Jahren, als ich als Rahmung Wüstenlandschaft gewählt hatte, assoziierten das viele als Welt nach der Neutronenbombe, dann kam das Waldsterben, es folgten Kriege und aktuell natürlich auch der Klimawandel und seine Folgen. Ich bin also immer irgendwie aktuell, dokumentiere mein Zeitgefühl, hinterfrage, wie ich in der Welt lebe und sie wahrnehme. Tatsache ist, dass der Mensch die Welt in Unordnung bringt und das Leben gibt mir da leider Recht.

Die Grundsicherung

CWH: Dennoch muten Ihre Lost Places lauschig und heimelig an.
JL: Das sind Plätze, an denen ich mich selber wiederfinde und im besten Fall tut das der Betrachter auch. Da es mir persönlich gut geht, ich ein schönes Leben führe, gelingt es mir, diese kleinen Idyllen zu schaffen – trotz der herrschenden Weltumstände.

CWH: Sie stellen meist zusammen mit anderen Künstlern aus.
JL: Ich alleine kann mit meinen doch eher kleinen Bildern keine großen Ausstellungsräume füllen, daher finde ich Projekte, die ich zusammen mit anderen Künstlern mache, sehr faszinierend und inspirierend. 2020 habe ich die Künstlergruppe „Neue Meister“ gegründet, seit drei Jahren gibt es ein neues Projekt, das sich „Neue Romantik“ nennt.

CWH: Neue Romantik? Was muss ich mir darunter vorstellen?
JL: Im Deutschlandfunk hat ein Philosoph die These aufgestellt, unsere gesellschaftliche Situation deutet darauf hin, dass wir in einer neuen Romantik leben. Das Individuum zieht sich aus dem Politischen zurück und schaut verstärkt auf sein eigenes Wohlergehen. Ich fand das einen sehr spannenden Ansatz für ein neues Projekt.

Der Exot

CWH: Wie sieht es mit Ausstellungen aus?
JL: Früher hatten wir bis zu acht Ausstellungen pro Jahr, seit Corona ist das leider etwas lückenhaft geworden, da viele Galerien das Handtuch geworfen haben. Vom 20. Oktober bis 19. November 2023 sind wir mit dem Projekt „Neue Romantik“ im Kunsthaus Reitbahn 3 in Ansbach zu sehen.

CWH: Campingliebhaber werden Ihre Wohnwagenwelten lieben! Sind Sie selber in dieser Urlaubsform unterwegs?
JL: Ja, meine Frau und ich besitzen ein altes Feuerwehrauto, das zuerst mein Galeriefahrzeug war und später zum Campermobil umgebaut wurde. Wir sind viel damit gereist, aber wenn ich ehrlich bin, haben wir Campingplätze gemieden, da wir die Einsamkeit lieben. Heute besitzen wir einen Wohnwagen, der seinen festen Saisonstandplatz auf einem kleinen Campingplatz am Bodensee hat.

Klettermax

CWH: Ok, Sie sind rehabilitiert. (lacht) Ganz herzlichen Dank für das inspirierende Gespräch und Ihre großartigen Bilder!

Die Kunstwerke von Joachim Lehrer gibt es auch als Postkartenmotive. Vielleicht ist es eine gute Idee, diese auf Campingplätzen anzubieten? Kartengrüße aus dem Urlaub zu schreiben, ist ja wieder up to date. Auf der Rückseite ein kleiner handschriftlicher Gruß an die Lieben daheim und als Covermotiv ein echter Lehrer. Wunderbar!

Der Lehrer Joachim Maler beherrscht eine barocke Malkunst, eine Technik niederländischer Altmeister wie kaum ein anderer. Seine Harz-Öl-Lasurmalereien auf Holztafeln können bei Ausstellungen im In- und Ausland und in bekannten öffentlichen Sammlungen und Museen auf vier Kontinenten bestaunt werden – und als Drucke oder Postkartenmotive erworben werden. Joachim Lehrer ist seit 1983 vollberuflich als Maler tätig, ist Mitglied im Verband Bildender Künstler Württemberg e. V., im Künstlersonderbund in Deutschland 1990 e. V. und hat die Künstlerguppen „Neue Meister“ und „Neue Romantik“ gegründet.

Anmerkung der Redaktion: Einen lieben Dank an Prof. Dr. Heinrich Lang, der uns auf den Künstler Joachim Lehrer aufmerksam gemacht hat.

Mehr Infos dazu: joachim-lehrer.de

Fotos: Joachim Lehrer