Wer einen Hund hat, kennt Martin Rütter. Er ist der erfolgreichste und beste Hundeexperte und -trainer im deutschsprachigen Raum. Seine Shows, TV-Formate und Bücher sind inzwischen legendär. Wen wundert᾿s? Er ist neben all seinem Wissen und seinem Engagement megasympathisch und superlustig. Wir freuen uns sehr, dass er Zeit für ein Interview hatte.
CWH: Mögen Sie Camping?
MR: Auf jeden Fall. In meiner Jugend bin ich gerne und regelmäßig zum Campen gefahren. Vorzugsweise nach Biarritz, einem Küstenörtchen im Südwesten Frankreichs.
CWH: Wenn Camping, dann Zelt, Wohnwagen oder Luxusmobil?
MR: Damals auf jeden Fall im Zelt. Ich muss aber gestehen, dass Camping heute nicht mehr so ganz meine Welt ist. Ich mache das aber hin und wieder trotzdem noch – allerdings in erster, zweiter und dritter Linie meinen Kids zuliebe.
CWH: Sie sind als Hundeprofi natürlich viel unterwegs. Wie schaffen Sie sich Auszeiten?
MR: Ich bin ein Mensch, der auch mal die Ruhe, überwiegend natürlich im Kreise meiner Familie, genießen kann und aus ihr wieder jede Menge Energie und Motivation schöpfen kann. Relaxt zu sein, habe ich übrigens von meinem ersten Hund Mina gelernt. Sie war keine Revoluzzerin, hat nie geknurrt oder gedrängelt. Wenn ich ungeduldig wurde, wurde sie ruhiger und hat einen Gang zurückgeschaltet. Ich wollte sie verändern, musste aber kapieren, dass das nicht geht. Ich habe durch den Hund Geduld gelernt und begriffen, dass ich auch mal fünfe gerade sein lassen kann. Hunde sind eben perfekte Lehrer, hartnäckig und sehr geduldig.
CWH: Braucht ein Hund nach dem Campingurlaub eigentlich Urlaub?
MR: Je sensibler ein Hund ist, desto leichter reagiert er auf Reize, wie z. B. auf eine Umstellung im Alltag. Umso schneller ist er damit auch zu traumatisieren. Natürlich gibt es Rassen, die grundsätzlich sensibler sind, wie z. B. einige Hütehunde. Das Thema Verreisen im Allgemeinen kann man erst einmal mit wirklich allen Rassen angehen. Es ist aber bedeutsam zu wissen, was dem eigenen Hund individuell wichtig ist und worauf man somit auch im Urlaub achten muss. Hat man einen Hund einer eher territorialen Rasse, wie zum Beispiel einen Hovawart, ist ein Campingurlaub, wo viele fremde Menschen nahe am eigenen Territorium, also dem Wohnwagen oder Wohnmobil, vorbeigehen oder dicht nebenan wohnen, vielleicht eher nicht so geeignet. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, sollte sich vorab in einer guten Hundeschule beraten lassen. Denn der Urlaub sollte unterm Strich eben auch zu den Bedürfnissen des Hundes passen.
CWH: Zwischenfrage: Darf Ihre Hündin mit in den Urlaub?
MR: Auf jeden Fall. Emma ist nach Möglichkeit immer dabei. Besonders gerne mag sie das Herumtollen am Strand und im Meer.
Ein eingespieltes Team: Martin Rütter und seine Hündin Emma
Fotos: Alex Stiebritz
CWH: Wie geht es Emma aktuell nach ihrer Krebserkrankung? Ich hoffe, dass sie wohlauf ist!
MR: Sie ist total wohlauf und energiegeladener als jemals zuvor. Es ist echt ein großes Glück, dass ihre Krebserkrankung so früh diagnostiziert und operiert wurde.
CWH: Woran liegt es, dass sich heutzutage so viele Menschen einen Hund anschaffen?
MR: Ich denke, dass das ganz grundsätzlich damit zusammenhängt, dass dem Hund in den letzten Jahren eine ganz neue gesellschaftliche Rolle zugekommen ist. Er ist heutzutage nicht mehr nur der Helfer bei der Arbeit, wie z. B. der Hütehund der Schäfer. Als Familienhund bringt er beispielsweise Kindern den Umgang mit Hunden näher, bei vielen Singles fungiert er als Partnerersatz, bei Paaren als Kinderersatz und, und, und. Der Hund ist heute meist ein vollwertiges Mitglied der Familie.
CWH: Wird der Hund häufig vermenschlicht?
MR: Ja, auch das gehört zur Wahrheit. Bei dem Thema Vermenschlichung muss man ein wenig differenzieren. Wenn man seinen Hund mal vermenschlicht, geht ja nicht direkt die Welt unter. Ich habe meinem Hund abends auf der Couch auch schon mal meine Sorgen und Nöte des Tages erzählt. Kein Problem, es darf nur nicht eskalieren, denn das schürt Erwartungen, die der Hund niemals erfüllen kann. Die Kernfrage lautet: Was stört den Hund? Solange der Hund in seiner geistigen und körperlichen Freiheit nicht eingeschränkt wird und nach seinen natürlichen Bedürfnissen entspannt leben kann, ist alles okay. So ist gegen ein mit Diamanten besetztes Halsband nichts zu sagen, denn es beeinträchtigt den Hund nicht. Das gilt auch für das pinkfarbene Märchenschloss als Hundehütte. Gefährlich wird es aber, wenn der Hund zum Oktoberfest in ein Dirndl gezwängt wird. Da hört der Spaß auf, das ist Tierquälerei.
CWH: Die Anzahl der vierbeinigen Gäste auf Campingplätzen steigt stetig, da sind auch Konflikte vorprogrammiert.
MR: Hierzu möchte ich gerne eine Empfehlung an die Hundemenschen aussprechen. Und die lautet: Nehmt Rücksicht! Allgemein ist gegenseitige Rücksichtnahme oberste Voraussetzung! Ich sehe deshalb zuerst immer die Menschen in der Verpflichtung und Verantwortung. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass ihre Hunde gut erzogen und für das Leben in der Gesellschaft gewappnet sind – was letztlich in der Konsequenz automatisch zu einem entspannten Miteinander führen würde.
CWH: Wäre ein Campingplatzhundeführerschein sinnvoll?
MR: Ich plädiere bereits seit Jahren für den Hundeführerschein als generelle Verpflichtung – und zwar bereits vor der Anschaffung eines Hundes. Es ist ja kein Geheimnis, dass fast alle Verhaltensprobleme erworben sind und aus der Unwissenheit der Halter resultieren. Die Menschen meinen es ja nicht böse, sehen aber vieles zu stark aus der menschlichen Perspektive. Es ist doch so: Es gibt für alles einen Schein, selbst für das Angeln. Wenn ich angeln gehe, gefährde ich aber niemanden. Wenn ich einen Hund falsch erziehe, kann das jedoch ziemlich gefährlich werden. Viele Politiker sagen: „So ein Schein ist nicht standardisierbar.“ Doch, ist er! Und das sogar in kürzester Zeit! Wenn Menschen bereits vor der Anschaffung eines Hundes die Grundlagen seiner Bedürfnisse erlernen und später dann in einigen praktischen Einheiten erfahren können, worauf sie im Alltag achten müssen, wird sich der generelle Ausbildungsstand unserer Hunde bereits in wenigen Jahren deutlich verbessern. Deswegen freue ich mich, dass meine Martin-Rütter-Hundeschulen solch einen Sachkundenachweis anbieten: den DOGS Hundeführerschein. Sollte es also irgendwann einen für alle verpflichtenden Hundeführerschein geben, sollten wir im nächsten Schritt unbedingt das Thema Campingplatzhundeführerschein angehen. (schmunzelt)
CWH: In den letzten Jahren hat sich einiges getan.
MR: Ja, ich finde ist es spannend, wie sich die Situation in den letzten 25 Jahren, in denen ich als Hundetrainer arbeite, verändert hat. Anfangs war ich ein Exot. Damals sind die Leute mit einem Kettenhalsband über den Hundeplatz gerannt, haben „Platz“ geschrien und der Hund sollte sich hinschmeißen. Dann kam ich und habe gesagt: „Das macht doch überhaupt keinen Sinn und bin zu Hausbesuchen gefahren, habe die Menschen da unterstützt, wo sie Probleme hatten.
CWH: Bitte noch ein Beispiel, was heute anders ist.
MR: Wenn heute eine durchschnittliche Hundehalterin mit ihrem Hund spazieren geht und eine Runde um den Block läuft, sieht sie aus, als würde sie auswandern. (lacht) Sie hat eine Literflasche Wasser für den Hund dabei, eine Wärmedecke, einen dicken Mantel, sie hat zwei verschiedene Leinen, drei Spielzeuge, einen Klicker und einen Tracker, falls der Hund verloren geht. Als ich angefangen habe, ist der Opa mit dem Dackel zum Kiosk gegangen, hat sich ’ne Fricko reingefeuert, mit dem Hund geteilt, ’ne Flasche Bier getrunken und ist wieder nach Hause gegangen. Hundetraining fand einfach nicht statt. Schön, dass das heute anders ist.
CWH: Nun zu einem ernsten Thema. Sie setzen sich seit längerer Zeit sehr für den Tierschutz ein, unter anderem gegen den illegalen Welpenhandel.
MR: Mein Appell lautet schon seit vielen Jahren, sich erst einmal im Tierheim umzuschauen, wenn man sich einen Hund wünscht. Dort gibt es tolle Hunde, man muss sie nur richtig erziehen. Oft haben die Leute Angst, sich für einen Tierheimhund zu entscheiden, weil sie denken, das mit ihm auf jeden Fall etwas nicht stimmen kann. Das ist Unsinn. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Hunde, die eine zweite Chance bekommen, einfach wahnsinnig dankbar sind. Das war einer der Gründe, warum ich 2022 die Tierschutzinitiative „ADOPTIEREN STATT PRODUZIEREN“ ins Leben gerufen habe. Zweiter Grund dafür war der immer weiter florierende dubiose Handel mit Hundewelpen, der so einfach nicht weitergehen kann und darf. Unzählige Welpen gelangen so gut wie jeden Tag auf obskuren Wegen zu uns. Der Handel mit den jungen Hunden ist mittlerweile nach dem illegalen Handel mit Drogen und Waffen auf Platz drei der lukrativsten kriminellen Geschäfte in Europa. Ich gehe davon aus, dass pro Jahr eine Million Welpen illegal quer durch Europa gefahren werden und allein 200.000 Hunde davon im deutschsprachigen Raum landen. Das kann so nicht weitergehen! Deswegen haben wir zu diesem Thema eine Reportage gemacht, die letztes Jahr in der VOX Primetime lief. Dafür sind wir quer durch Europa gefahren und haben monatelang recherchiert. Das war wirklich sehr aufreibend für mich und das gesamte Team. Wir haben lange überlegt, welche Bilder wir wirklich zeigen können, ohne dass die Menschen abschalten, weil es zu grausam ist. Es gibt einfach kein Unrechtsbewusstsein bei einigen Welpenhändlern, sie verstehen nicht, was das für die Hunde bedeutet. Hunde haben für sie gar keine Relevanz. Wenn ein Muttertier keine Welpen mehr werfen kann, ist es völlig normal, dass dieses Tier nicht mehr gefüttert wird und verhungert.
CWH: Wie ist die aktuelle Rechtslage? Kommen Sie voran?
MR: Meine Angebote an die Politik bleiben bestehen, sie müssen nur angenommen werden. Was man übrigens jetzt schon ohne großen Aufwand machen könnte, wäre, bestehende Gesetze einfach mal vollends anzuwenden. Es gibt Tierschutzgesetze, mit denen man sehr massiv gegen Tierquälerei vorgehen könnte. Man muss der Sache einfach nur nachgehen. Da kann man sich ein Beispiel an Österreich nehmen, die sehr radikal gegen den Tierhandel vorgehen. Deswegen meiden Welpenhändler den Weg aus Ungarn über Österreich, obwohl es die direkte Strecke nach Deutschland wäre.
CWH: Lieber Martin Rütter, ich sage ganz herzlichen Dank für das spannend-schön-lustige Gespräch und für Ihre Zeit! Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute und allen Hunden natürlich auch.
MR: Vielen Dank für die guten Wünsche und das schöne Interview.
Das Interview führte unsere Chefredakteurin Karin Werner
MARTIN RÜTTER
Der studierte Tierpsychologe eröffnete 1995 seine erste Hundeschule. Seither ist er DER Mann, wenn es um den richtigen Umgang mit Hunden geht.Wer ihn live genießen möchte, darf sein aktuelles Bühnenprogramm: „Der will doch nur spielen!“ auf gar keinen Fall verpassen.
Plakat: Martin Rütter/Mina Entertainment
Mehr Infos zu seiner aktuellen Live-Tour unter: martin-ruetter-live.de
Titelfoto/Aufmacherbild: Klaus Grittner